Kapitänin
02.08.2012
Stina Menzel ist geübt im Umgang mit dem Sextanten. Foto: Michael Stephan

Stina Menzel ist geübt im Umgang mit dem Sextanten. Foto: Michael Stephan

Studieren zwischen Deich und Hunte

Elsfleth. Sie wirkt gelassen, kennt ihre Ziele sehr genau und ist im entscheidenden Moment bestimmt. Eigenschaften, die Stina Menzel in ihrem Beruf unbedingt benötigt. Die 24-Jährige ist frisch gebackene Kapitänin.
Die gebürtige Cuxhavenerin hat sich nach dem Abitur um ein Nautik-Studium an der Jade Hochschule am Standort Elsfleth bemüht. „Die Hochschule genießt einen sehr guten Ruf und das Flair ist hier ganz besonders“, findet sie. „Ich würde immer wieder in Elsfleth studieren.“ Die Atmosphäre, der Umgang zwischen Studierenden und Dozenten, die moderne technische Ausstattung und das Studentenleben haben es ihr angetan. Tatsächlich studiert Stina Menzel zwischen Deich und Hunte. Es weht eine steife Brise. Von der Mensa-Terrasse blicken wir auf Schiffe, die an der Kaimauer liegen. Darunter das Segelschulschiff „Großherzogin Elisabeth“, das immer wieder die Blicke von Passanten auf sich zieht. Stina Menzel kennt den Dreimast-Topgaffelschoner in- und auswendig. Schließlich hat sie schon am Steuerrad gestanden.  Technikinteresse, Spaß an Mathematik und Physik, Fernweh, Gelassenheit, eine gewisse Portion Robustheit, ein stabiles Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, gut mit sich allein sein zu können, bringt die junge Frau mit. Optimale Voraussetzungen, um Kapitänin zu werden. „All das brauche ich in diesem Beruf“, sagt sie. Die 24-Jährige kann das beurteilen. Schließlich ist sie schon während ihres Studiums zur See gefahren. Denn Praxisanteile werden am Fachbereich Nautik groß geschrieben. Sie hat Schwergut und Container befördert und findet es völlig normal, große Schiffe über die Meere zu steuern. „Irgendwann ist es wie Autofahren“, findet sie.  Das stimmt zwar nicht ganz, wie wir im Simulator feststellen. Vor uns nichts als Geräte, die Außenstehenden im Gegensatz zu Stina Menzel wenig sagen. Blitzschnell bringt sie alles in Bewegung und schon nach kurzer Zeit befinden wir uns auf dem Ozean. Vor uns der unendli-che Horizont. Genau diesen Blick mag sie so gern, diese Weite, diese besondere Atmosphäre. Auch wenn es stürmt, regnet und das Meer die Wellen gegen den Schiffsrumpf peitscht. Das simuliert sie und empfindet nur positive Gefühle.  „Ich bin am Wasser groß geworden, weiß, wie es dort zugeht und habe es immer gemocht“, erzählt sie. Dass sie als Kapitänin ihre Vorlieben und ihre fachlichen Kenntnisse sowie ihre Eigenschaften vereinbaren kann, begeistert sie. Hier im Simulator hat Stina Menzel das Gefühl für die Brücke bekommen. „Hier können wir kleine und große Schiffe navigieren, jede Wetterlage simulieren und wenn wir mögen, in Shanghai oder New York anlegen. Wir können durch die Karibik fahren oder über Elbe, Donau und Rhein. Wir können Windräder transportieren, Autos oder Passagiere“, klärt sie auf.  Tatsächlich fühlt es sich im Simulator an wie auf einem wirklichen Schiff. Die Geräusche, die Bewegungen, die Umwelt, alles verblüffend echt. Und dann taucht plötzlich in der Ferne Land auf. Ein Moment, den Stina Menzel immer wieder schön findet. „Ich bin leidenschaftlich gern auf See, aber wenn ich weiß, ich kann bald einen kurzen Landgang machen, freue ich mich jedes Mal riesig“, verrät sie.  Mittlerweile stehen wir in der Bibliothek. Hier hat sie oft gesessen und Seekarten studiert. Positionsbestimmungen gehören ebenso zum Studium wie Routenplanungen. Im Manövrierbecken, gut 200 Meter von hier entfernt, hat sie gelernt, wie sich beladene und unbeladene Schiffe bei unterschiedlichem Wellengang verhalten. Sie weiß viel über Regelungs- und Messtechnik, kann einen Sextanten bedienen, hat im Schiffsmechanikerzentrum nebenan auf dem Campus einen Schweißerlehrgang und Überlebenstraining im Kompetenzzentrum absolviert, das ebenfalls hier angesiedelt ist. „Dort trainieren die Windradspezialisten, die die Räder auf dem offenen Meer kontrollieren“, erzählt sie.  Während wir über den Campus gehen, rufen und winken uns ständig junge Leute zu. „Mit denen lebe ich im Wohnheim oder sie gehören zu meinem Semester“, klärt sie auf. Genau diese familiäre Atmosphäre mag die Nautikerin, die gegenwärtig noch ihren Master macht. „Die meisten leben im Wohnheim, wo wir zusammen kochen und feiern, uns aber auch ge-genseitig beim Lernen helfen und zusammen auf Prüfungen vorbereiten. Das ist alles sehr wichtig im Studium“, findet sie. Dass die Dozenten sie mit Namen ansprechen und für sie da sind, hält sie für einen großen Vorteil. „Wir wissen einfach, wo wir leistungsmäßig stehen und arbeiten miteinander und nicht gegeneinander.“ Dass sie in einer klassischen Männerdomäne gelandet ist, stört die junge Frau nicht. „Das habe ich von Anfang an gewusst“, sagt sie. „Unsere Dozenten finden das nicht nur normal, sie befürworten es, wenn Frauen Nautik studieren. Und auf See dürfen wir Frauen nicht zart besaitet sein.“ Demnächst steht Stina Menzel als 3. Offizierin auf der Brücke des Kreuzfahrtschiffes „AIDAMAR“, das in der Meyer-Werft in Papenburg gebaut worden ist. „Mich zieht es einfach aufs Wasser“, bekennt sie. „Nach dem Bachelor habe ich mich beworben. Als ich gerade mit dem Masterstudium angefangen habe, kam das Angebot, dem ich nicht widerstehen konnte. Ich unterbreche deshalb mein Studium, fahre ein paar Jahre zur See und kehre dann zurück nach Elsfleth, um mein Masterstudium zu beenden“, sagt sie abschließend, blickt vom Deich auf die Hunte und spürt schon wieder dieses intensive Fernweh. Text: Katrin Zempel-Bley