Küstenforschung
22.04.2016
Die Küste verändert sich ständig. Hier die Nordwestseite von Spiekeroog, mit Langeoog und Baltrum im Hintergrund. <span>Nick Rüssmeier/Universität Oldenburg</span>

Die Küste verändert sich ständig. Hier die Nordwestseite von Spiekeroog, mit Langeoog und Baltrum im Hintergrund. Nick Rüssmeier/Universität Oldenburg

Gemeinsam abheben: 600 Meter über dem Meer

Sie wollen gemeinsam erforschen, wie sich die norddeutsche Küstenlinie in den nächsten Jahren verändert: Ein Interview mit den Meerestechnikern Nick Rüssmeier vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg und Jens Wellhausen von der Jade Hochschule.

Wie sind Sie darauf gekommen, sich zusammenzutun?
RÜSSMEIER: Wir hatten einfach die gleiche Idee, Jens Wellhausen von der Jade Hochschule und ich – ganz unabhängig voneinander: Wir möchten Fernerkundungsflüge zur Untersuchung der Inseln und des Wattenmeeres unternehmen. Als wir uns vor etwa anderthalb Jahren über die gemeinsamen Studiengänge „Meerestechnik“ und „Marine Sensorik“ kennenlernten, haben wir schnell festgestellt, dass sich Universität und Fachhochschule in der Lehre hervorragend ergänzen. Das Potenzial sehen wir auch für die Forschung.

Inwiefern?
RÜSSMEIER: Jeder kann seine Stärken beisteuern. Die Universität bringt das Equipment für die wissenschaftlichen Untersuchungen mit, zum Beispiel die Kamera-Sensorik. Die Jade Hochschule kümmert sich um die organisatorischen Abläufe rund um das Flugzeug.
WELLHAUSEN: Wir sind gewissermaßen aufeinander angewiesen. Wir produzieren sehr große Datenmengen, die wir nur gemeinsam auswerten können. Jeder hat dabei zum Teil seinen eigenen Blickwinkel: Die Universität hat sicherlich eher die naturwissenschaftliche Sichtweise, wir als Jade Hochschule bringen den ingenieurwissenschaftlichen Blick mit. Wir werden auf jeden Fall gemeinsam die Forschung per Fernerkundung
vorantreiben.

Noch hat die Jade Hochschule ja kein eigenes Flugzeug…
WELLHAUSEN: Noch nicht, aber hoffentlich bald. Der entsprechende Großgeräte-Antrag läuft bereits, und es sieht gut aus. Wir planen, einen Reise-Motorsegler anzuschaffen, der Platz für den Piloten, einen Wissenschaftler und etwa 100 Kilogramm Nutzlast bietet. Wenn alles wie geplant läuft, können wir schon nächstes Jahr gemeinsam damit in die Luft gehen.

Welches Ziel verfolgen Sie mit der gemeinsamen Forschung?
RÜSSMEIER: Wir wollen ein möglichst genaues Bild der Küstenlinie und ihrer Veränderungen im Laufe der Jahre zeichnen. An den ostfriesischen Inseln spielen morphologische Umlagerungsprozesse durch Erosion, Wasser und Wind eine große Rolle – also Veränderungen der Küstenlinie. Wir reden ja immer wieder vom Klimawandel und über steigende Meeresspiegel. Da muss man sich fragen, wie wir den Küstenschutz anpassen sollten, damit er den neuen Herausforderungen effizient begegnen kann. Dafür müssen wir genau verstehen, was sich an der Küste tut.
WELLHAUSEN: Ein weiteres Ziel ist es, unsere Sensoren und Messmethoden weiterzuentwickeln. Dabei stellt sich für uns die Frage, inwieweit man mit relativ kostengünstiger Technik gute Ergebnisse erzielen kann.

Wie unterscheidet sich die Fernerkundung von den bisherigen Messmethoden?
RÜSSMEIER: Das Flugzeug ist eine ideale Ergänzung zu unserer bereits etablierten Forschung. Bisher untersuchen wir das Wattenmeer vor allem mit in-situ-Messverfahren, also direkt vor Ort. Ein wichtiges Element ist beispielsweise der Messpfahl vor Spiekeroog. Dessen Zeitserien-Messungen sind zwar sehr genau, zeichnen aber nur ein lokales Bild. Das Flugzeug ermöglicht uns dagegen, ein umfassenderes Bild der gesamten Umgebung zu erhalten, in der viele Prozesse gleichzeitig ablaufen und sich gegenseitig beeinflussen. Das sind zum Beispiel natürliche Temperatur- und Strömungseffekte, das können aber auch Auswirkungen sein, die die Industrie verursacht oder die Fischerei.

Bedeutet das, dass Sie diese Zusammenhänge bisher gar nicht sehen konnten?

RÜSSMEIER: Doch, das konnten wir schon – aber nicht in dieser Deutlichkeit. Die Flüge haben noch einen weiteren Vorteil: Der Blick aus der Luft hilft uns, die Forschungsfahrten mit dem Schiff besser zu planen. Wir können uns vorab ein Bild vom jeweiligen Forschungsgebiet machen und so geeignete Stellen für unsere Messungen festlegen. Die Erkundung per Schiff ist ja vergleichsweise aufwendig. Wir benötigen etwa fünf Stunden von Wilhelmshaven nach Spiekeroog und sind dabei auch noch von der Tide abhängig. Da ist es schon wichtig, am richtigen Punkt zu landen.

Können Sie das Flugzeug ständig nutzen?
WELLHAUSEN: Ja, wir planen, dass es in Mariensiel stehen wird, nahe unserer Standorte von Jade Hochschule und ICBM, und wir können es weitgehend selbstständig betreiben, denn wir haben Piloten im Hause. Gerade die Möglichkeit, spontan zu agieren, wird für unsere Forschungstätigkeit sehr wichtig werden – zum Beispiel, wenn ein Sturm die Küstenlinie verändert hat. Mit dem Flugzeug können wir innerhalb weniger Stunden aktuelle Daten erhalten. Und das sogar vergleichsweise preiswert: Eine Runde mit dem Motorsegler kostet nur einen Bruchteil eines Flugs mit einem klassischen Forschungsflugzeug, von Satelliten ganz zu schweigen.

Können Sie schon einschätzen, wie erfolgversprechend die Flüge sind?
WELLHAUSEN: Ja, erste Probeflüge mit einem vergleichbaren Motorsegler haben gezeigt, dass unsere Vorstellungen durchaus realistisch sind. Wir können die Segmentierung der Küstenfläche ziemlich genau vornehmen, also bestimmen, was eigentlich Watt ist und was nicht. Über Wasser sehen wir unterschiedliche Welleneigenschaften. Das sind sehr vielversprechende Ergebnisse. Die Quintessenz dieser ersten Versuche war, dass wir selbst mit der verwendeten „Low-Cost“-Sensorik hochwertige Ergebnisse erzielen.
RÜSSMEIER: Das stimmt. Die für uns interessanten Informationen liegen in verschiedenen Schichten des Wassers vor. Das war bisher immer problematisch. Nun haben wir es geschafft, vom Flugzeug aus die unterschiedlichen Zonen sichtbar zu machen – mit einer visuellen und einer Infrarotkamera. Wir können damit Strömungen in verschiedenen Wassertiefen darstellen, das ist ein toller Erfolg. Nebenbei haben wir auf einer Sandbank viele warme Punkte entdeckt – Seehunde, die wir tatsächlich einzeln nachzählen konnten, aus 600 Metern Höhe.

Gibt es schon weitere Projekte?
RÜSSMEIER: Wir haben schon einige konkrete Ansatzpunkte, beispielsweise ein Forschungsprojekt am ICBM über Verbreitung von Plastikmüll. Die Bilder aus der Luft bringen da einen großen Vorteil, weil man die Flächen abfliegen und damit Verdriftung erforschen kann. Das würde vom Schiff aus nicht funktionieren.
WELLHAUSEN: An der Jade Hochschule gibt es ein Projekt, das sich mit dem Einfluss von Offshore-Windkraftwerken auf die Funknavigation beschäftigt. Da ist es interessant, die Auswirkungen und mögliche Störungen großflächig zu vermessen.

Das klingt alles sehr vielversprechend...
RÜSSMEIER: Definitiv. Ich sehe in dieser Kooperation mit der Jade Hochschule eine Stärkung des ICBM-Standorts Wilhelmshaven und der Forschung, die wir hier betreiben. Wir können nun gewisse Fragen sozusagen „flächig auflösen“, wo wir bisher nur punktuell vorgehen konnten. Darauf freue ich mich.
WELLHAUSEN: Stimmt. Ich bin außerdem überzeugt, dass das Flugzeug – wenn wir es erstmal haben – eine tolle Außenwirkung haben wird. Unsere Forschung wird im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar und wir wecken Interesse – letztlich auch bei potenziellen Studierenden.

Interview: Birgit Bruns/Universität Oldenburg