Ingenieurwissen
21.01.2015
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Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: "Ich bin sicher, dass sich noch unsere Enkel mit Pneumatik beschäftigen werden." Foto: Markus Hibbeler
Die Zukunft der Pneumatik
Wilhelmshaven.
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen geboren in Vietnam, kam mit 18 Jahren nach Deutschland. Er studierte an der Universität Aachen Maschinenbau und Betriebs-wirtschaftslehre. Nach verschiedenen Stationen im Maschinenbau nahm er 1997 den Ruf der Jade Hochschule in Wilhelmshaven für eine Professur der Ingenieurwissenschaften an. Seine Schwerpunktthemen sind Steuerungs- und Regelungstechnik, Mechatronik sowie Hydraulik und Pneumatik.
Sie lehren Mechatronik und Regelungstechnik an einer deutschen Universität. Wie sehen Sie die Bedeutung der Pneumatik in der Fabrikautomation?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Die Pneumatik hat Vorteile und Nachteile: Sie kann Linearbewegungen direkt erzeugen, sie ist schnell, sie erfüllt sehr einfach einen Explo- sionsschutz und sie ist überlastfähig. Auch beim Thema Robustheit hat die Pneumatik eindeutige Vorteile. Auf der anderen Seite steht traditionell die Regelbarkeit und die Energieeffizienz ist nicht berauschend. Aber beide Themen hat die moderne Pneumatik im Griff.
Wie stehen die Chancen, die Energieeffizienz zu steigern?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Schon heute könnten die meisten Pneumatiksysteme wesentlich energieeffizienter arbeiten. Es ist vor allem eine Frage der geschickten Systemkonfiguration. Wenn ich statt eines 5/2 Wegeventils zwei 3/2 Ventile gepaart mit einer intelligenten Steuerung einsetze, senke ich den Druckluftverbrauch. Ein anderes Beispiel ist die Endlagendämpfung bei Zylindern: Eine anwendungsgerecht optimierte Dämpfung verringert den Verbrauch um rund 40 bis 50 Prozent.
Es liegt also vor allem an den Konstrukteuren, wie energieeffizient die Pneumatik ist?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Als Ingenieure neigen wir dazu, immer auf der sicheren Seite zu stehen. Also nehmen wir lieber einen 40er Zylinder, auch wenn ein 32er ausreichen würde. Diese Überdimensionierungen summieren sich auf. Dabei gibt es Auslegungstools, die genau das verhindern. Wenn Konstrukteure diese Hilfsmittel konsequent einsetzen, dann steigern sie die Energieeffizienz und bauen auch noch kompakter.
Wo sehen Sie auch in Zukunft Anwendungsgebiete für die Pneumatik in der Fabrikautomation?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Überall dort, wo schnelle und einfache Bewegungen oder Dosierungen gebraucht werden. Nehmen sie zum Beispiel Lackieranlagen für die Automobilindustrie. Die Autohersteller wechseln in Serienfertigung die Farbe bei jeder Karosserie. Das erfordert schnelle Druck-und Mengenregelungen und da bietet sich die Pneumatik einfach an. Denken sie an elektropneumatische Druckregelventile: Beim Kunststoffblasen beispielsweise beginnt der Prozess mit Drücken im Milli- bar-Bereich, um dann schnell deutlich mehr als 10 bar zu erreichen. Ingenieure gucken, was passt und nehmen die Vorteile jeder Technologie mit. Deswegen werden auch in Zukunft Elektromechanik und Pneumatik koexistieren.
Welche Innovation erwarten Sie in der Pneumatik?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten den Umstieg auf Kunststoffe und eine höhere Funktionsintegration erlebt. Die Industrie treibt die Miniaturisierung immer weiter voran. Die kleinsten Pilotventile aus der Serie passen auf ein 5-Cent-Stück. Für sehr hohe Lebensdauern sehen wir aktuell interessante Entwicklungen mit dem Werkstoff Keramik. Eine Reihe von Wissenschaftlern arbeitet an Mikroventilen, die zusammen mit der Elektronik in Silizium eingeätzt werden. Hier kann die Pneumatik den Nanobereich erobern.
Welche Möglichkeiten bietet die Regelungstechnik?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Die Fluidtechnologie hat starke Nicht-Linearitäten, denn komprimierte Luft verhält sich eben anders als eine mechanische Welle. Aber heute steht mehr als genug Rechenleistung und Speicher zur Verfügung, um diese Nichtlinearitäten auszugleichen. Moderne Regelungen kompensieren die Nachteile der Pneumatik weitgehend.
Welche Bedeutung hat die Pneumatik in der Ingenieursausbildung?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: In zahlreichen Ausbildungsgängen ist Pneumatik kein Pflichtfach mehr. Die Idee ist, dass Ingenieure dieses Thema im Beruf lernen. Pneumatik ist aber nur scheinbar sehr einfach. Bei einer intensiven Beschäftigung wird schnell klar, dass es nicht nur um Druck und Menge, sondern auch um Thermik geht. Hier müssen die Pneumatikhersteller in Zukunft sicher mehr Anwendungs-Unterstützung leisten.
Wird 2020 die Pneumatik in Automation noch eine Rolle spielen?
Prof. Dr. Huu-Tri Nguyen: Ganz ehrlich: Ich bin sicher, dass sich noch unsere Enkel mit Pneumatik beschäftigen werden.
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