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Kolumne
03.07.2018
Prof. Dr. Ulrike Schleier

Prof. Dr. Ulrike Schleier

Kolumne: "Unterm Strich gibt es durchschnittlich 5,22 Prozent mehr Geld"

Von Prof. Dr. Ulrike Schleier, erschienen in der Wilhelmshavener Zeitung

Die Berichterstattung über den Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst ist ein eindrucksvolles Beispiel für einen sorglosen Umgang mit Zahlen. Stolpersteine sind, wie so oft bei Berichterstattungen über statistische Sachverhalte, die Begriffe Durchschnitt, Summe und Prozent.

Am 18. April 2018 einigten sich die Verhandlungspartner auf einen ungewöhnlich differenzierten Tarifabschluss für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und kommunalen Arbeitgebern. Je nach Beschäftigtengruppe wurden unterschiedliche Gehaltserhöhungen vereinbart. Das Einigungspapier ist 20 Seiten lang und enthält zwölf Tabellen. Als Zusammenfassung wurden zur prozentualen Erhöhung folgende Durchschnittswerte bekanntgegeben: Zum 1. März 2018 3,19 Prozent mehr, zum 1. April 2019 weitere 3,09 Prozent mehr, zum 1. März 2020 weitere 1,06 Prozent mehr. Der Deutschlandfunk zitierte Innenminister Seehofer mit den Worten „die Erhöhung summiere sich auf fast 7,5 Prozent“, Ver.di nennt in einem Flugblatt ein „Gesamtvolumen von 7,5 Prozent“. In den folgenden Tagen wurde die Zahl 7,5 in der Presse in unterschiedlichen Formulierungen aufgegriffen: „Summiert auf mehr als sieben Prozent“, „unterm Strich gibt es 7,5 Prozent mehr“, „insgesamt 7,5 Prozent mehr“. All diese Formulierungen sind mindestens missverständlich, wenn nicht falsch.

Die Zahl 7,5 ergibt sich als prozentuales Wachstum, wenn man die drei Wachstumsfaktoren 1,0319 und 1,0309 sowie 1,0106 multipliziert. Das Ergebnis ist 1,07506, was einer prozentualen Erhöhung um etwas mehr als 7,5 Prozent entspricht. Als Summe interpretiert gibt die Zahl an, wie viel mehr Gehalt Bund und Kommunen ab März 2020 ihrem gesamtes Personal zahlen müssen (gleichbleibende Beschäftigtenstruktur vorausgesetzt). Was hier summiert wird, sind also die Gehaltszuwächse aller Beschäftigten ab März 2020. Wer den Zeitpunkt verschweigt, erweckt den Eindruck, die 7,5 Prozent wären die Gesamterhöhung über den gesamten Zeitraum.

In die Zahl 7,5 geht aber der Zeitraum nicht ein, da die Zeitpunkte der drei Erhöhungen in der Rechnung überhaupt nicht berücksichtigt werden. Für die Gesamtbetrachtung kann es jedoch nicht gleichgültig sein, zu welchen Zeitpunkten die ersten beiden Stufen gezahlt werden. Je später die Stufen 1 und 2 in Kraft treten, desto geringer fällt ja der Gesamtbetrag über die Zeit aus.

Summiert über die Zeit bedeutet der Tarifabschluss deutlich weniger als 7,5 Prozent

Eine Beispielrechnung ist einfach, wenn ein Gehalt von 100 Euro betrachtet wird mit einem Anstieg in den oben genannten Stufen. Um welchen Betrag liegt das während der Laufzeit des Tarifabschlusses insgesamt gezahlte Gehalt über dem ohne Tarifabschluss? Die Tabelle zeigt die Entwicklung.  
Stand 02/2018plus 3,19 %Mehrbetrag in 13 Monaten
100103,19 41,47
Stand 03/2019plus 3,09 %Mehrbetrag in 11 Monaten
103,19106,3870,18
Stand 02/2020plus 1,06 %Mehrbetrag in 6 Monaten
106,38107,5145,06
Summe der Mehrbeträge 156,71
Durchschnitt je Monat 5,22

Auf je 100 Euro Monatsgehalt werden nach dem Tarifabschluss über die Laufzeit von 30 Monaten insgesamt 156,71 Euro mehr gezahlt. Das sind im Durchschnitt pro Monat 5,22 Euro mehr. Dasselbe Ergebnis, über die 30 Monate insgesamt betrachtet, hätte ein Tarifabschluss von 5,22 Prozent ohne Stufen erbracht. Eine sorgfältig gewählte Formulierung des Tarifabschlusses könnte lauten: Die Summe aller Gehälter wächst in drei Stufen bis auf zuletzt 7,5 Prozent der Ausgangsgehälter von Februar 2018. Die Stufen entsprechen einer durchschnittlichen Erhöhung von 5,22 Prozent.

Ein wesentlicher Unterschied der stufenweisen gegenüber einer konstanten Erhöhung liegt darin, dass zukünftige Tariferhöhungen auf dem Schlussprozentsatz von 7,5 Prozent aufsetzen werden.


Zur Person:
Dr. Ulrike Schleier ist Diplom-Statistikerin und hat einen Doktortitel in Naturwissenschaften. Sie arbeitete unter anderem als Statistikerin in einem Versicherungsunternehmen. An der Jade Hochschule ist sie Professorin für Mathematik und Statistik im Fachbereich Management, Information, Technologie

Text: Prof. Dr. Ulrike Schleier