BIM
23.02.2016
Prof. Dr. Hans-Hermann Prüser, Dekan des Fachbereich Bauwesen & Geoinformation.

Prof. Dr. Hans-Hermann Prüser, Dekan des Fachbereich Bauwesen & Geoinformation.

Chancen und Grenzen von Building Information Modeling

Für welche Projekte eignet sich BIM – für welche hingegen weniger?

Prüser: Allgemein gesprochen handelt es sich bei BIM um die Organisation von Informationen und Prozessen in einem virtuellen 3-dimensionalen Gebäudemodell. Die Baubranche ist inzwischen davon überzeugt, dass sich BIM kurz- und mittelfristig durchsetzen wird. In der Übergangsphase werden sicherlich zunächst größere Bauprojekte mit einem hohen Komplexitätsgrad besonders BIM-geeignet sein. Einhergehend mit der Verfeinerung der EDV-Werkzeuge und der zunehmenden BIM-Akzeptanz wird zukünftig auch die Abwicklung kleinerer Projekte BIM-konform erfolgen.

Inwieweit hat sich die Baubranche durch die fortschreitende Digitalisierung verändert?

Prüser: Die Veränderungen, die die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt, betreffen keine Branche im speziellen sondern die Gesellschaft insgesamt. Dabei sind Kommunikation, Internet und Datenbanken die treibenden Einflussgrößen. Dazu ein zugegebenermaßen sehr vereinfachendes Beispiel: Früher wurde eine „dumme“ Fertigteilstütze auf die Baustelle geliefert und dann eingebaut. Heute könnte die gleiche Stütze mit einem RFID-Chip bestückt sein, auf dem ergänzende Informationen wie Gewicht, Einbauort und -termin, Kosten, Daten zur Bauüberwachung und Rechnungslegung, etc. gespeichert sind. Mit dem Lesen dieser Daten und dem Abgleich mit Baustelleninformationen könnte ein Kran erkennen, ob er die Stütze heben kann, wohin sie zu transportieren ist und ob das für ihren Einbau notwendige Fundament schon hergestellt ist. Nach Einbau und dem „OK-Eintrag“ der Qualitätsprüfung in die Datenbank kann die Rechnung gestellt werden. Digitalisierung bedeutet, dass jederzeit Informationen zur Verfügung stehen, um Prozesse zu steuern. Ja, die Digitalisierung verändert unser Leben ganz gravierend.

Welche Arbeitsschritte sind bislang weggefallen und welche werden noch wegfallen? Welche Entwicklungs- und Aufgabenstufen werden trotz fortschreitender Digitalisierung bestehen bleiben?

Prüser: Die Baubranche schöpft aus langjähriger Erfahrung. Deshalb muss wegen BIM nicht das Rad ganz neu erfunden werden. Stattdessen gilt es, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, um komplex auszulegende Bauprojekte im Rahmen der vorzugebenen Ziele von Qualität, Termin und Budget verlässlicher und sicherer abzuwickeln. Dem Grunde nach wird sich dabei der Umfang der notwendigen Arbeiten nicht verändern. So haben z.B. die Inhalte der HOAI-Leistungsphasen weiterhin Bestand. Allerdings wird ihre zeitliche Abfolge im Sinne des Projekterfolges optimiert werden. Um Sicherheit in der Realisierungsphase zu erreichen, werden bauablaufbestimmende Details als besondere Planungsleistungen früher erbracht. Eine Zielsetzung von BIM ist es, das Gebäude zunächst „kollisionsfrei“ virtuell herzustellen, es danach auszuschreiben und es anschließend herzustellen.

Inwieweit lassen sich durch BIM eine Kostenexplosion bei Großbaustellen wie dem Berliner Flughafen oder Stuttgart 21 verhindern?

Prüser: Natürlich ist BIM kein Allheilmittel. Es wird aber dann immer Vorteile bringen, wenn alle Projektbeteiligten sich auf die entsprechenden Konventionen einigen. Die Planung wird transparenter, weil alle Beteiligten gemeinsam auf und an dem gleichen virtuellen Modell arbeiten. Auftretende Probleme, aber auch Änderungswünsche des Bauherrn sind sofort für alle in ihren Auswirkungen erkennbar. Der Umgang damit ist in einer BIM-Umgebung primär lösungs- und nicht nachtragsorientiert. Gravierende Probleme oder Änderungen müssen erst gelöst werden, bevor die weiterführenden Prozesse gestartet werden.
Wird eine Großbaustelle tatsächlich vor ihrer Realisierung kollisionsfrei virtuell simuliert, so sind die Bauabläufe und die herzustellenden Mengen nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ erfasst. Das schafft eine erhöhte Sicherheit bei Terminen und Kosten, bevor die Realisierung beginnt.

Wo liegen die Nachteile von BIM?

Prüser: Die BIM-Methode ist ein modernes Verfahren zur Planung, Realisierung und für den Betrieb von Gebäuden. Eingesetzt werden effiziente Werkzeuge für die Kommunikation und Simulation der Prozesse. Nachteile gegenüber den tradierten Methoden gibt es dem Grunde nach nicht.
Dennoch sind Hemmnisse oder Gefahren erkennbar. Zum einen wird die Einführung von BIM in den betroffenen Firmen und Planungsbüros zunächst Kosten verursachen, bevor sich ein Mehrwert einstellen kann. Diese Investition ist aber für die Zukunftsfähigkeit unumgänglich. Weiterhin ist der Begriff BIM stark an EDV-Programme gekoppelt. Dem laienhaften Eindruck „es ist nur ein Icon zu drücken – und fertig ist das Gebäude“ ist konsequent entgegenzutreten. Hier ist Gefahr im Verzuge. Es ist klarzustellen, dass BIM Ingenieurkunst nicht ersetzen kann. BIM ist stattdessen ein wirkungsvolles Werkzeug der Ingenieurkunst, das nur von Experten sinnvoll einsetzbar ist.

Wie sieht die Zusammenarbeit der Beteiligten konkret aus und welche Voraussetzungen müssen hierfür vorhanden sein?

Prüser: Die Beteiligten arbeiten gemeinsam an und mit einem virtuellen Gebäudemodell. Sie tauschen ihre Ergebnisse –auch online- über dieses Modell aus und erläutern daran ihre Planungsansätze.
Die Voraussetzungen zur Teilhabe an der BIM-Methode sind durch eine entsprechend ausgerichtete Ausbildung (auch Weiterbildung) zu schaffen. Folgende Punkte erscheinen mir dabei ganz wesentlich:

- Ein breites Bau-Grundlagenwissen für den ergebnisorientierten fachlichen Diskurs mit den Projektbeteiligten,
- Ein grundlegendes Verständnis zum Aufbau von virtuellen Gebäudemodellen, deren Anwendung und Datenstruktur,
- Einsatz internetbasierter, digitaler Kommunikationsplattformen. Teamfähigkeit.
- Verwendung des virtuellen Gebäudemodells, um spezialisiertes Fachwissen in den Planungsprozess zu integrieren

Auf detail.de wird BIM einerseits als »große Chance, am Bau Kosten und Zeit zu sparen« bezeichnet, andererseits aber auch »als Werkzeug böser Mächte, um den Architekten noch den letzten Rest Einfluss auf das Baugeschehen zu rauben«. Inwieweit können Sie vor allem letztere Aussage entkräften bzw. bestätigen?

Prüser: Es müsste hier zunächst die Frage beantwortet werden, was hier wirklich gemeint ist. Es ist doch so, dass jeder am Baugeschehen Beteiligte seinen Einfluss ausübt. Das macht der Architekt, ebenso wie der Bauingenieur, ebenso wie der Haustechniker, ebenso wie der Landschaftsplaner, ebenso wie der Facility Manager, etc. Es wird immer Projekte mit unterschiedlich gearteten prägenden Inhalten sein.
Letztendlich kommt es darauf an, dass ein Bauprojekt insgesamt, d.h. auch auf seine Nutzungsdauer hin betrachtet, erfolgreich ist. Von daher ist es einfach nur wichtig, dass jeder Beteiligte sein Fachwissen einbringen kann und das wird aus meiner Sicht zukünftig nur über die Teilhabe an der BIM-Methode möglich sein.

Wie lange wird es noch dauern, bis BIM in Deutschland flächendeckend zum Einsatz kommt?

Prüser: Ich glaube, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, der begonnen hat, zunehmend an Fahrt aufnimmt und nicht mehr umkehrbar ist. Häufig wird schon heute in der Praxis beim Austausch von Informationen in einzelnen Phasen der Planung „BIM“ eingesetzt, ohne dass die Beteiligten hier explizit von BIM reden.
Der wirklich flächendeckende, über den Lebenszyklus des Bauwerkes angesetzte Einsatz wird umso eher erfolgen, je eher Bauherren, Planer, Baufirmen und Gebäudebetreiber für sich einen Mehrwert durch BIM ausgemacht haben. An ganz entscheidender Stelle stehen hier die Bauherren. So hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur kürzlich einen Stufenplan vorgelegt. Danach wird soll ab Ende 2020 BIM regelmäßig im gesamten Verkehrsinfrastrukturbau bei neu zu planenden Projekten Anwendung finden. Damit ist eine erste Marke gesetzt; weitere werden folgen.

Wie weit ist Deutschland bezüglich BIM im internationalen Vergleich?

Prüser: Es wird immer behauptet, Deutschland liege zurück. Das ist wohl auch zutreffend, allerdings haben wir, wenn wir es wirklich strukturiert angehen, alle Chancen aufzuholen.

»Der Erfolg einer neuen Methode im Bauwesen hängt im Wesentlichen von den vier Randbedingungen Menschen, Prozesse, Technologie und Richtlinien ab«, ist im ›BIM-Leitfaden für Deutschland‹ zu lesen. Welche dieser vier Komponenten ist bislang am besten entwickelt bzw. am einsatzbereitesten?

Wir sollten sehr selbstbewusst diese vier Randbedingungen betrachten. Als Hochschullehrer sehe ich, dass sich die Curricular entsprechend umstrukturieren und dass die angehenden jungen Ingenieure und Ingenieurinnen dem Thema BIM ausgesprochen positiv gegenüberstehen. Planungs- und Baufirmen werben intensiv für Nachwuchskräfte und bieten Perspektiven. Die Technologie ist vorhanden und muss in Lehre und Praxis erprobt und angewendet werden. Prozesse und Richtlinien sind in der Bearbeitung.
Noch wichtiger als die genannten Randbedingungen sind aber Projekte, die mit der BIM-Methode abgewickelt worden sind und dabei erfolgreicher als mit tradierten Planungsmethoden waren. Und hierfür gibt es national und international immer mehr Beispiele.

Wo hat BIM noch seine Grenzen?

Prüser: Man wird sehen, ob sich zukünftig Grenzen zeigen werden. Für die technischen Inhalte sehe ich sie nicht. Die Transparenz der Planung mag sekundär Probleme verursachen. In dem virtuellen Gebäudemodell stecken sowohl das geistige Eigentum der Planer, als auch interne Kostenkalkulationen der Beteiligten. Derartige Dinge sind zu schützen; Lösungen hierfür sind erst ansatzweise entwickelt.

Inwieweit lässt sich BIM auf bereits fertige Häuser/Wohnungen übertragen, um beispielsweise Sanierungsarbeiten besser koordinieren zu können?

Prüser: Seit vielen Jahren werden in Deutschland beim Bauen im Bestand größere Investitionssummen als bei Neubauten umgesetzt. Insofern besteht auch hier für die BIM-Methode eine Herausforderung - und natürlich lässt sie sich auch hier einsetzen.
Da die BIM-Methode immer auf ein virtuelles Gebäudemodell zurückgreift, ist der Ansatzpunkt leicht ausfindig zu machen. Für Bestandgebäude liegen –wenn überhaupt- analoge Papierpläne und Aktenordner vor. Diese Informationen müssen zunächst in ein virtuelles Gebäudemodell überführt werden. Ob sich das „lohnt“ wird der Immobilienverwalter gemeinsam mit dem Gebäudebetrieb fallweise und angesichts der anstehenden Umbaumaßnahmen entscheiden müssen.


Interview erscheint auch in der nächsten Ausgabe von audimax.de