Menschen
MWJ
03.12.2012
Vom Tabubruch zum Medienskandal
Von Tabubrüchen und Skandalen liest man in den Medien beinahe täglich – nicht nur in der Klatschpresse. Was aber ist eigentlich ein Tabu, was ist ein Skandal, und was hat das eine mit dem anderen zu tun? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Historikerin und Politologin Melanie Hellwig, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven, in ihrer Promotion. Am Donnerstagnachmittag stellte sie den Stand ihrer Arbeit im Rahmen der Vortragsreihe „Mit Sinn und Verstand: Wissenschaft und Praxis der Kommunikation“ des Instituts für Medienwirtschaft und Journalismus (InMWJ) an der Jade Hochschule vor.Dabei erfuhren ihre Zuhörer zunächst, wie viele unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Tabu“ es aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven gibt. Übersetzt aus den zusammengesetzten polynesischen Wörtern „ta“ (kennzeichnen, markieren) und „pu“ (intensiv, kräftig) bedeutet er zunächst: „kräftig gekennzeichnet“. Verstanden wird darunter – unter anderem – „etwas, das soziale Konflikte dadurch reduziert, dass eine Handlung verboten wird“, erläuterte Melanie Hellwig. Wer ein Tabu übertrete, dem drohe der Ausschluss aus der Gruppe, in der dieses Tabu gesetzt werde. Die Angst vor solchen Konsequenzen könne beim „Tabubrecher“ so starken psychischen Stress auslösen,
dass sein Herz zu rasen beginnt, er krank wird oder sogar stirbt („Adrenalintod“).
Zur Wirkweise von Tabus ergab sich, zusammengefasst: „Der Mensch lernt konformes Verhalten gegenüber mächtigen Personen.“ Mächtige Menschen setzen demnach also Tabus, andere halten sie ein. Manche davon seien zeitlich begrenzt, wie etwa das Tabu der Abtreibung, umgekehrt entstehen aber auch neue Tabus – Stichwort: „Political Correctness“. Zu einem Tabu sei hierbei zum Beispiel die Verwendung des Wortes „Ausländer“ (politisch korrekt: „Mensch mit Migrationshintergrund“) geworden.
Ein Skandal wiederum werde – unter anderem – dadurch definiert, dass jemand eine wichtige moralische Norm schuldhaft und eigennützig verletzt, dass diese Verletzung bekannt wird und eine gewisse Empörung und die Forderung nach Konsequenzen nach sich zieht. Geschieht dieses „Bekanntwerden“ durch die mediale Inszenierung einer erzählenden, personalisierten, nicht unbedingt faktenbasierten Geschichte, spreche man von einem „Medienskandal“. Ein Tabubruch, der in den Medien aufgegriffen wird, könne also zu einem Medienskandal führen.
Als eines von vielen erläuternden Beispielen nannte Hellwig den 1971 von Alice Schwarzer im „Stern“ inszenierten Bruch des Abtreibungstabus. Damals bekannten sich öffentlich 374 Frauen, darunter Prominente wie Senta Berger und Romy Schneider, zu ihren – noch unter Strafe stehenden – Schwangerschaftsabbrüchen. Mit Gesprächen über eine entsprechende Gesetzesreform hatte die Aufweichung dieses Tabus damals bereits begonnen. „Insofern war dieses öffentliche Bekenntnis der letzte noch mögliche Tabubruch“, erklärte Hellwig. Im Anschluss an ihren Vortrag diskutierte sie mit ihren Zuhörern noch darüber, wann ein Tabubruch zu einem gesellschaftlichen Wandel oder zur Verfestigung des Tabus führt.
Text: Katrin Busch