Dörte Schneider (li.), Gleichstellungsbeauftragte der Jade Hochschule, und die Geschlechterforscherin Dr. Ute Gerhard. Foto: Piet Meyer/Jade HS
Statt Geschlechterkampf gemeinsam aus Erfahrungen lernen und handeln
Anlässlich des Internationalen Frauentags referierte die emeritierte Professorin Dr. Ute Gerhard gestern am Studienort Oldenburg der Jade Hochschule zum Thema Frauenbewegung und Geschlechtergerechtigkeit. Rund 40 Zuhörer_innen aus der Hochschule und der Region nahmen an dem Vortrag „Unerhört, was Frauen so bewegen und arbeiten“ teil. „Es ist fast nicht mehr vorstellbar, dass Dinge wie zum Beispiel das Mitbestimmungsrecht über die eigenen Kinder, die Geschäftsfähigkeit verheirateter Frauen und die Möglichkeit, ein eigenes Konto zu führen erst lang und hart erkämpft werden musste“, sagte
Dörte Schneider, Gleichstellungsbeauftragte der Jade Hochschule, in ihrer Einführung. „Es sind Erfolge im zähen Ringen um Gleichberechtigung, die den Frauen, die heute um die 30 sind, selbstverständlich vorkommen.“
Historische Frauenbewegung
Die Soziologin und Geschlechterforscherin Ute Gerhard beleuchtete die Eckpunkte der historischen Frauenbewegung und stellte Protagonistinnen vor: Olympe de Gouges forderte bereits 1791 „Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten.“ Die Forderung nach politischer und gesellschaftlicher Teilhabe, insbesondere dem Wahlrecht, teilten auch die Aktivistinnen der Suffragettenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit Verhaftungen, Hungerstreiks und dem Boykott antifeministischer Geschäfte gerieten die überwiegend bürgerlichen Frauen in die Weltöffentlichkeit.
Erwerbsbeteiligung von Frauen: Deutschland ist Schlusslicht im internationalen Vergleich
Trotz Bemühungen in der Geschlechterpolitik, bilde Deutschland heute in der Frage der Erwerbsbeteiligung von Frauen im internationalen Vergleich oft das Schlusslicht. Arbeit in Teilzeit, kürzere Erwerbsbiografien und unsichere Arbeitsverhältnisse seien die Hauptursachen für die insgesamt geringe und unstete Beteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dies führe zum sogenannten Gender Pension Gap: Auf ein durchschnittlich geringeres Einkommen folge unvermeidlich eine bis zu 53 Prozent geringere Altersversorgung. Ein wichtiger Punkt, so Gerhard, sei in diesem Zusammenhang eine gesetzlich geregelte, finanzielle Anerkennung von „Care Arbeit“ also Arbeit, die innerhalb der Familien durch Betreuung und Pflege geleistet wird.
Der "Familienernährer" und die "Hüterin der Familie"
Warum beispielsweise in Schweden oder Frankreich ein gleichberechtigter Umgang mit Frauenerwerbstätigkeit herrsche, erklärte die Soziologin anhand der Entwicklung des Rollenbildes des Familienernährers. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 1816 waren ca. 30 Prozent der Frauen als Lohnarbeiterinnen tätig und trugen damit nicht unerheblich zum Unterhalt der Familien bei, die in der Landwirtschaft Tätigen waren noch nicht eingerechnet. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich mit zunehmender Industrialisierung eine Familienideologie, die die Geschlechter in klare Rollen aufteilte: Das Modell der (Ehe-)Frau als „Hüterin des Haushalts und der Familie“ und des (Ehe-)Manns als „Familienernährer“ fand sich nach 1945 in allen Bevölkerungsschichten wieder und prägt bis heute. „Gesellschaftliche Anerkennung erhielten besonders in den Fünfzigerjahren diejenigen berufstätigen Männer, deren Frauen nicht zum Haushaltseinkommen beitragen mussten“, erklärt Prof. Dr. Gerhard. Deshalb würden Familienväter in unserer heutigen Arbeitswelt noch häufig auf Unverständnis stoßen, wenn sie sich für eine längere Elternzeit entscheiden. Anstatt Familienzeiten als soziales Engagement zu wertschätzen, werden sie gesellschaftlich und politisch als Lücke in der Erwerbsbiografie und Karriereknick gewertet, was für beide Geschlechter gelte, bemängelte Ute Gerhard. „Aus diesem Grund brauchen wir keinen Kampf der Geschlechter, sondern eine gemeinsame Bewegung für mehr Gerechtigkeit“, resümiert die Soziologin „Rechte sind kein Besitz, sie müssen immer wieder neu ausgehandelt werden“.