Bologna-Prozess
07.05.2012
Prof. Dr. Ralf Wandelt, Vizepräsident für Studium und Lehre.

Prof. Dr. Ralf Wandelt, Vizepräsident für Studium und Lehre.

Folgen von Bologna

Interview mit Prof. Dr. Ralf Wandelt, Vizepräsident für Studium und Lehre, zur Strukturreform im Zuge des Bologna-Prozesses. 

Wie hat sich aus Sicht Ihrer Hochschule die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge ausgewirkt?
Wandelt: Es hat in den meisten Studiengängen beim Übergang vom FH-Diplom zum Bachelor eine Reduzierung der Regelstudienzeit gegeben. Die meisten Bachelor-Studiengänge sind heute sieben Semester lang. Häufig wurde die Reduzierung durch Streichung von Praxiselementen (nur eines der vormals zwei Praxissemester) vorgenommen. Eine kleinere Zahl von Master-Studiengängen wurde sukzessive aufgebaut.
 
Welches sind die wesentlichen Vor-, aber auch Nachteile für Forschung und Lehre im allgemeinen, für Studierende und Absolventen?
Wandelt: Die Modularisierung hat die Studiengänge übersichtlicher gemacht. Die schneller erreichbare Berufsfähigkeit wird von einigen als Vorteil angesehen. Für Fachhochschulen ist die Möglichkeit, Master-Studiengänge in forschungsintensiven Fachbereichen anzubieten, sehr attraktiv. Durch die einheitliche Studienstruktur ist die Zusammenarbeit mit den Universitäten erleichtert. 
In den Ingenieursfachbereichen wird oft noch der Verlust des Titels "Diplom-Ingenieur" als Nachteil empfunden. Mit dem akademischen Grad eines Bachelor wird ein geringeres Renommee verbunden. Die Absolventinnen und Absolventen fühlen sich im Vergleich zu früheren Jahrgängen abgewertet.
 
Und wohin geht die weitere Reise? Welche Veränderungen werden auf die Jade Hochschule in den nächsten Jahren noch zukommen?
Wandelt: Zur Zeit besteht die Tendenz, die Regelstudienzeit des Bachelor wieder zu verlängern. In sechs Semestern kann nur selten eine gründliche wissenschaftliche Basis für ein weiterführendes Master-Studium und gleichzeitig die berufliche Qualifikation erworben werden. Kurze Bachelor-Studiengänge reduzieren zwangsläufig auch die gewünschte Mobilität. 
Zu den wichtigsten Zukunftsthemen gehört die Öffnung der Hochschulen für berufliche Qualifizierte ohne traditionelle Hochschulzugangsberechtigung (Abitur) und die damit verbundene Anerkennung außerhalb der Hochschule erbrachter Leistungen. Ferner gibt es einen Trend zur Einrichtung von Weiterbildungsstudiengängen im Rahmen des Lebenslangen Lernens. 
 
Führten die im Jahr 2009 an vielen Hochschulstandorten formierten Studentenproteste zu Veränderungen/Nachbesserungen bei Studien- und Prüfungsordnungen oder anderen Rahmenbedingungen?
Wandelt: Proteste an der Jade Hochschule hat es praktisch nicht gegeben. Der Bologna-Prozess hatte für Fachhochschulen weniger gravierende Auswirkungen als für Universitäten. Dennoch wird nachgesteuert. Bei Reakkreditierungen wird auf die in den Strukturvorgaben quantifizierte Mindest-Modulgröße von 5 Leistungspunkten geachtet. Teilweise wurde die Regelstudienzeit wieder verlängert. Praxissemester wurden wieder eingeführt. Duale Studiengänge und Online-Studiengänge wurden neu entwickelt. Insbesondere die Einführung des Jade Modells am Fachbereich Ingenieurwissenschaften ist eine konsequente Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses im Sinne der Schaffung individueller Studienverläufe. 
 
Ein gutes Jahrzehnt ist nach Bologna vergangen. Wie ist heute die „Stimmungslage“ unter Studierenden/Lehrenden/Verwaltung hinsichtlich der Hochschulreform?
Wandelt: Die Studierenden haben die Reform entweder längst akzeptiert oder sie leben gut mit den neuen Studienbedingungen (sie haben ja keine anderen kennengelernt). Kritische Bemerkungen sind selten geworden. Unter den Lehrenden werden einzelne Aspekte nach wie vor kritisch gesehen: die kürzereren Studienzeiten und der damit befürchtete Substanzverlust, vor allem aber die zunehmende Bürokratisierung durch Qualitätsmanagement und Akkreditierungen.