Studium

TGM
28.06.2012
Angehende Ingenieure der Jade Hochschule lassen ihre Entwicklungen von Menschen mit Behinderungen testen.

Angehende Ingenieure der Jade Hochschule lassen ihre Entwicklungen von Menschen mit Behinderungen testen. Foto: Michael Stephan

Hirngeschädigte Patienten testen Produkte von Studierenden

Oldenburg. Hilfen für Menschen mit Handicaps zu entwickeln, ist eine Sache. Wie sie von den Betroffenen angenommen werden, eine andere. Die Chancen, die sich mit dem technischen Fortschritt der letzten Jahre eröffnet haben, sind beeindruckend. Doch wer Assistenzprodukte entwickeln oder in diesem Bereich beratend tätig sein möchte, braucht nicht nur technisches Know-how, sondern sollte auch die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Anwender genau kennen. Ralf Heindorf, Psychologiedozent an der Jade Hochschule, kennt das Problem aus seiner täglichen Arbeit als Neuropsychologe und Psychotherapeut mit Menschen im Neurologischen Rehazentrum Friedehorst in Bremen. Die Patienten dort leiden unter verschiedenen Hirnschädigungen, die sie durch Unfälle z.B. bei der Arbeit, im Straßenverkehr oder in der Freizeit erlitten haben mit oft schweren Folgeerscheinungen. Um sie zu behandeln, werden u.a. auch Computerprogramme eingesetzt, die ihre Gehirnfunktionen mobilisieren und trainieren sollen. Was lag da näher, als im Wahlpflichtfach Neuropsychologie an der Jade Hochschule nicht nur die Aufgabe zu stellen, Computerprogramme zu entwickeln, mit deren Hilfe Beeinträchtigungen des Gehirns behandelt werden können und sie anschließend von Betroffenen testen zu lassen, um hautnah zu erfahren, ob die Patienten überhaupt mit ihnen umgehen können und zudem einen gesundheitlichen Nutzen haben. Die Studierenden im 6. Semester der Studiengänge Hörtechnik und Audiologie sowie Assistive Technologie der Jade Hochschule entwickelten alle ein Computerprogramm und präsentierten es im Rahmen ihrer Prüfung als Teil ihrer Hausarbeit den Patienten des Rehazentrums Friedehorst im Alter zwischen zehn und 40 Jahren. Sie haben Computer aufgebaut und den Patienten die Aufgaben erklärt.  Dabei fiel auf, dass alle Testpersonen von dem Vorhaben begeistert waren und vorurteilsfrei an das Experiment herangingen. Sie freuten sich auf die neuen Besucher und hatten viel Spaß mit den Programmen. Da wurden für einen kurzen Moment Symbole gezeigt wie ein Haus, ein Stern oder eine Burg, die die Patienten auf einer ganz bestimmten Bahn nachzeichnen mussten. Oder über Kopfhörer wurden ihnen zwei Zahlen übereinander genannt, die sie wiedergeben mussten. „Berührungsängste hatte niemand“, berichtet Ralf Heindorf. „Im Gegenteil, sie waren einerseits gespannt und neugierig, andererseits aber auch hoch motiviert." Zuvor hatte er die Studierenden intensiv auf ihren Besuch im Rehazentrum vorbereitet, so dass ihnen der Umgang mit den teilweise erheblich geschädigten Patienten überhaupt keine Schwierigkeiten bereitete. Nach vier Stunden stand fest, die Programme sind durchweg geeignet - zumindest nach dem Urteil der Patienten.  Sie kamen alle auf Anhieb mit der Aufgabenstellung zurecht, fühlten sich positiv herausgefordert und angespornt. Die Studierenden beobachteten sie dabei und konnten kleinere Mängel feststellen, an denen sie bereits feilen. „Wir optimieren z.B. das Design oder passen den Schwierigkeitslevel an“, berichten sie und sind von dem Praxistest begeistert.  „Das war ein kreativer und eigenständiger Prozess, in dem wir unsere Ideen für den professionellen praktischen Einsatz umgesetzt haben, was wir nach dem Studium schließlich beherrschen sollen. Wir haben unsere Technik am Patienten getestet und eine direkte Rückmeldung erhalten. Das ist ein sehr lehrreicher und befriedigender Lernprozess“, sind sich die Studierenden einig. Ralf Heindorf ist beeindruckt von dem Prüfungsergebnis. „Alle Studierenden haben sehr gute Ideen entwickelt und fast perfekt umgesetzt. Dass es so optimal laufen würde, habe ich nicht erwartet. Am Ende waren alle hoch zufrieden: Die Patienten, die Studierenden und ich. Der Einsatz hat sich in jeder Beziehung gelohnt. Es ist sinnvoll, nicht nur theoretisch etwas zu erarbeiten, sondern anschließend auch zu erleben, ob es sich praktisch bewährt. Nur so schaffen es die künftigen Experten, optimale Hilfen für Menschen mit Handicaps zu entwickeln, um deren Lebensqualität zu verbessern“, ist der Psychologe überzeugt.