Studium

Lehrauftrag
04.12.2015
Zur internationalen Klasse von Prof. Jörg Härtel zählten mehr als 70 Studierende, neben zehn Chinesen vor allem Studierende aus arabischen Staaten und aus Schwarzafrika.<span>Foto: privat</span>

Zur internationalen Klasse von Prof. Jörg Härtel zählten mehr als 70 Studierende, neben zehn Chinesen vor allem Studierende aus arabischen Staaten und aus Schwarzafrika.Foto: privat

Sechs Wochen China

Oldenburg.Hangzhou. Der Start für Jörg Härtels Lehrauftrag verlief alles andere als rund: Zweimal wurde ihm das Visum verweigert und erst zwei Stunden vor dem Abflug zugestellt. Angekommen in Hangzhou, einer Acht-Millionen-Metropole nahe Shanghai, war völlig unklar, ob er im Hotel oder auf dem Campus logieren wird. „Organisatorisch läuft es in China nicht immer rund“, sagt der Professor der Jade Hochschule. Das Studium hingegen sei straff organisiert und durchgeplant.

Bei seinem sechswöchigen Lehrauftrag an der Zheijiang University of Science and Technology hat der Bauingenieur Festigkeitslehre unterrichtet – ein Grundlagenmodul. Zu seiner internationalen Klasse zählten mehr als 70 Studierende, neben zehn Chinesen vor allem Studierende aus arabischen Staaten und aus Afrika südlich der Sahara. Deren Herkunft verweist auf die chinesische Wirtschaftsstrategie: Die Volksrepublik ist Afrikas größter Handelspartner, chinesische Firmen bauen in Afrika Straßen oder Fußballstadien und sorgen für Mobilfunknetze sowie für Breitband-Anschlüsse. Gleichzeitig fließen Öl und andere Rohstoffe vom Kontinent nach China.
Doch Afrika gilt nicht nur als Rohstoffreservoir, sondern als kommender Absatzmarkt für Konsumgüter. Dementsprechend sei das Ziel der afrikanischen Studierenden aus Härtels internationaler Klasse, später irgendwie ins Geschäft mit China zu kommen. Ein Studium im Reich der Mitte ist für sie attraktiv: Die Lebenshaltungskosten sind geringer als im Westen und die Studiengebühren niedrig. Ein Visum ist nach drei Tagen da, auch Familienmitglieder können leicht einreisen.

In Oldenburg sei die Bereitschaft dagegen gering, für zwei Semester nach China zu gehen, bedauert Härtel: „Unseren Studierende sehen ihre berufliche Zukunft meist bei einem Unternehmen in der Region und sind nur schwer für einen Austausch in China zu motivieren.“ Der Professor betreut an der Jade Hochschule seit 2011 ein DAAD-Austauschprogramm, mit dem pro Jahr jeweils drei Studierende aus Oldenburg und Hangzhou den Hörsaal tauschen. Für das Programm war Härtel in den vergangenen Jahren regelmäßig in China. 

Das Niveau an der Partnerhochschule unterscheidet sich nicht wesentlich vom Studium in Deutschland, sagt Härtel. Auch die Motivation und Mitarbeit der Studierenden sei ähnlich. Die chinesischen Dozenten verfügten hingegen über weniger Praxiserfahrung. In den Vorlesungen an der Zheijiang University gibt es eine Anwesenheitspflicht und jede Woche sind Hausarbeiten zu schreiben.

Anders sei auch der Stil des Lernens: Während die Chinesen vom Kindergarten an aufs Auswendiglernen programmiert seien und beim Durcharbeiten von Lehrbüchern kaum nach unverzichtbaren und weniger Wichtigem differenzieren, werde in Deutschland viel Wert darauf gelegt, das Wissen auf andere Bereiche übertragen zu können. Trotz des anderen Lernstils seien die chinesischen Gaststudierenden an der Jade Hochschule durchaus erfolgreich.

Härtel beobachtet in China einen massiven Ausbau der Bildungsindustrie. Auch die Zhejiang University expandiert und hat gerade einen neuen Campus für 6000 Studierende eröffnet. Mit der Bildungsoffensive werde das Land immer unabhängiger von westlichem Wissen. Deshalb sei es etwa im Bauwesen längst möglich, die Megastädte ohne ausländisches Know-how auszubauen. Mit seinen Spezialgebieten Holzbau und Energieeffizienz kann Härtel in China derzeit nicht landen – es mangelt an Holz und bei den vielen mächtigen Neubauten wird auf Stahl und Beton gesetzt. 

Rasante Entwicklungen fallen Härtel auch in vielen anderen Lebensbereichen auf: In dem einst von Radfahrern geprägten Land sind mittlerweile überwiegend Elektro-Roller unterwegs – im Dunkeln gern ohne Licht. Beim traditionellen Getränk gibt es ebenfalls einen Wandel: Wurde Härtel bei seinen bisherigen China-Aufenthalten immer eine Tasse grüner Tee gereicht, stand jetzt erstmals Kaffee auf dem Schreibtisch. Wie bei diesem Detail aus dem Alltag fällt Härtel immer wieder der Zwiespalt zwischen dem Stolz auf die Tradition und der Orientierung am westlichen Lebensstil auf. Stolz ist man in Hangzhou und umzu jedenfalls auf die malerische Lage der von Teebergen umgebenen Stadt. Und gleich um die Ecke liegt als beliebtes Ausflugsziel der Westlake, ein See – noch flacher als das Zwischenahner Meer und, na klar, einen Quadratkilometer größer.