Studium
Rollenspiel
03.05.2017
Studierende trainieren ethische Entscheidungsfindungen
Ingenieurinnen und Ingenieure sind heute immer häufiger gefordert, sich neben der rein technischen Realisierung von Problemlösungen mit moralischen Fragen auseinander zu setzen, beispielsweise ob das Leben von Menschen durch medizinische Geräte verlängert werden darf und ob das Abschalten eine Form von Sterbehilfe ist – selbst, wenn eine Patientenverfügung vorliegt. Aus diesem Grund bietet der Fachbereich Ingenieurwissenschaften der Jade Hochschule ergänzend zu den rein fachlichen Lehrangeboten nun auch ein interdisziplinäres Seminar an, in denen ethische Streitfragen diskutiert werden. Im Master-Kurs „Praktische Philosophie (Ethik) für Ingenieur_innen“ müssen die Studierenden Entscheidungen so treffen, dass sie ihr Handeln verantworten können.„Obwohl es auf den ersten Blick vielleicht abwegig erscheint, dass unsere angehenden Ingenieurinnen und Ingenieure auch in philosophischen Fragen unterrichtet werden, sind wir am Fachbereich Ingenieurwissenschaften von der Interdisziplinarität unseres Lehrplanes überzeugt“, erklärt Prof. Dr. Heiner Köster, Dekan des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften.
Das Seminar
In sieben ausgewählten Themen sind die Studierenden aufgefordert, ethische Entscheidungen zu treffen, mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen zu diskutieren und zum Abschluss des Seminars in einem einstündigen Vortrag zu präsentieren. Für ein Thema besuchten sie, gemeinsam mit Dr. habil. Elmar Schreiber, Professor am Fachbereich Ingenieurwissenschaften, die Kunsthalle Bremen. Der renommierte Kunsthistoriker Detlef Stein stellte die Situation und Bedeutung der Kunst und der gestaltenden Künstler im Nationalsozialismus dar.Im Fokus des ganztägigen Seminars stand die Zeit um 1937, als rund 20.000 Kunstwerke von mehr als 1.400 Künstlern, u.a. Gemälde von Lovis Corinth, Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc, Otto Mueller und Emil Nolde, beschlagnahmt wurden. Diese, vom nationalistischen Regime als „entartete Kunst“ bezeichneten Werke wurden in Ausstellungen vorgeführt, beispielsweise im Juli 1937 in den Münchener Hofgartenarkaden. Im Juni 1939 versteigerte der Kunsthändler Theodor Fischer etwa 125 Werke an ausländische Kunsthändler. Werke, die nicht verkauft werden konnten, galten als „nicht verwertbar“, weshalb etwa 1.000 Werke während einer Feuerwehrübung verbrannt wurden.
Die Diskussion des Dilemmas
Auf der Grundlage des von Stein dargestellten historischen Hintergrundes ergab sich ein moralisches Dilemma, welches die Studierenden in einer Pro- und Contra-Argumentation lösen sollten. Sie sollten sich in die Rollen von Museumsdirektorinnen und –direktoren eines der berühmten New Yorker Kunstmuseen versetzen. Zur Verfügung stand ihnen ein fiktiver Geldbetrag, um hochwertige Kunst sehr günstig zu ersteigern.Die Studierenden identifizierten die moralisch relevanten Fragen und Konflikte. Sie glichen die Argumente, die für, als auch die Argumente, die gegen eine Versteigerung sprachen, mit normativen Hintergrundtheorien ab und beurteilten sowie gewichteten sie ethisch.
Ihre Entscheidungen
In der fiktiven Aktion ersteigerten Dreiviertel der „Museumsdirektoren“ die Bilder, um sie vor der Zerstörung zu bewahren und den Menschen auf dieser Welt ein hohes Kulturgut zu erhalten. Für die anderen überwog das moralische Argument, keine derartigen Geschäftsbeziehungen einzugehen, insbesondere, um nicht zur Finanzierung von Waffen und damit zum Töten beizutragen. Für alle Studierenden war klar, dass sie die Kunstwerke eines Tages den Menschen und Museen in Deutschland zurückgeben würden.„Die Studierenden lernen in diesen Seminaren, ihren Horizont zu erweitern. Sie können sich in unterschiedliche ethische Ansichten hineinversetzen und stärken ihre Entscheidungsfindung und ihr verantwortliches Handeln im Spannungsfeld von Technik und Ethik“, ergänzt Köster.