„Psychische Belastungen in der Arbeitswelt – Ansätze zur Primärprävention“ lautete das Thema einer gemeinsamen Tagung der Kooperationsstelle Hochschule/Gewerkschaften und der Jade Hochschule. „Ein spannendes und drängendes Thema“, wie Harald Büsing, Leiter der Kooperationsstelle, angesichts der vielen Anmeldungen, die nicht berücksichtigt werden konnten, erklärte.
Arbeitsstrukturen sowie die Form der Arbeit haben sich in den letzten 20 Jahren rasant gewandelt. Doch das bisherige Arbeitsschutzgesetz orientiert sich an klassisch abhängig Vollzeitbeschäftigten. Dabei gehört befristete Arbeit ebenso in die Arbeitswelt wie z.B. Teilzeit- oder Zeitarbeit bzw. geringfügige Beschäftigung. Außerdem sind die meisten Beschäftigten nicht mehr in der Produktion sondern im Dienstleistungssektor tätig.
„Wir erleben unglaubliche Umbrüche, die nicht spurlos an den Arbeitnehmern vorbeigehen“, erklärte Prof. Dr. Frauke Koppelin, Studiengangsleiterin Master Public Health von der Jade Hochschule und Mitorganisatorin der Tagung. Die Ausweitung und Durchdringung der Arbeitswelt mit moderner Kommunikationstechnologie, hoher Flexibilisierung, Entgrenzung der Arbeit, mehr Verantwortung für den Einzelnen, deutlicher Beschleunigung der Arbeitsprozesse, zunehmender Lernanforderungen, neuer Arbeitsformen, verbunden mit beruflicher Unsicherheit kennzeichnen die Entwicklung“, fasste Koppelin zusammen. Kein Wunder also, wenn 50 Prozent der Beschäftigten über Termin- und Leistungsdruck klagt und durchschnittlich 43 Stunden arbeitet, wie eine Studie belegt.
Koppelin stellte erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt PsychGeA an der Jade Hochschule – gefördert durch die VW-Vorab Stiftung – vor. Basierend auf Daten einer großen Krankenkasse hinsichtlich psychischer Erkrankungen kam sie zu dem Ergebnis, dass vor allem Beschäftigte im Dienstleistungsbereich, hier sind besonders viele Frauen beschäftigt, erheblich stärker betroffen sind als Beschäftigte anderer Bereiche, z.B. aus der Produktion. Außerdem sind die Erkrankten vergleichsweise jung, was u.a. mit dem hohen psychischen Anforderungen an den Berufseinstieg und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusammen hängen kann. Mit dem Einstieg ins Rentenalter nimmt die Wahrscheinlichkeit, eine psychische Erkrankung zu haben wieder ab.
„Obwohl das Arbeitsschutzgesetz die Gesundheit in der Arbeit umfasst und auf Veränderungen in der Arbeitswelt reagieren soll und Betriebsräte weitreichende Mitbestimmungsrechte besitzen, mangelt es an präventivem Arbeitsschutz“, erklärte Dr. Elke Ahlers von der Hans Böckler Stiftung Düsseldorf. „Der Arbeitsschutz ist sicherheitsgerecht aber nicht ausreichend menschengerecht. Gefährdungsbeurteilungen zur Erfassung psychischer Belastungen gibt es nur selten, obwohl das Gesetz sie vorsieht“, merkte sie weiter an.
Das soll an mangelndem Know-how liegen, an unklaren Verantwortlichkeiten, an mangelndem Nutzen und an zu viel Aufwand, meinen befragte Betriebsräte laut einer Untersuchung. Ahlers macht die schwache Arbeitsschutzaufsicht mitverantwortlich, die extremen Sparzwängen unterliegt, und ein gewisses Obrigkeitsdenken seitens der Beschäftigten sowie die generell geringe Akzeptanz der Betriebe, sich auf das Thema einzulassen. Schließlich verursachen psychische Erkrankungen immense Kosten und rangieren mittlerweile auf Platz drei hinter Muskel und Herz-Kreislauferkrankungen.
Dr. Karina Becker von der Universität Jena erinnerte an eine EU-Rahmenrichtlinie, „wonach die Gesunderhaltung nicht wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf.“ Gleichwohl würden Kosten, Risiken und Verantwortung zunehmend auf Arbeitnehmer übertragen. Die Einflüsse durch veränderte Arbeitsprozesse und die gleichzeitigen Abstriche bei der Qualität der Arbeit würden immer mehr Beschäftigte psychisch schwer belasten. Ihr Anspruch, ganzheitlich zu arbeiten, bliebe zunehmend auf der Strecke, was sich u.a. stark im Bereich der Pflege bemerkbar mache. „Tatsächlich kommt es auf die Balance zwischen Verausgabung und Belohnung an“, machte sie abschließend klar.