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Einzelhandel
23.01.2017
Redner beim Vortragsabend über die Zukunft des Handels in Jever (v. li.): Jasper Strauß (Hauptgeschäftsführer des AWV Jade), Christian Hinze (WZ), Claudia Havekost (IHK Oldenburg), Michael Engelbrecht (Vorstandsvorsitzender der Volksbank Jever) und Prof. Dr. Stephan Kull (Jade Hochschule).<spn>WZ-FOTO:  LÜBBE</span>

Redner beim Vortragsabend über die Zukunft des Handels in Jever (v. li.): Jasper Strauß (Hauptgeschäftsführer des AWV Jade), Christian Hinze (WZ), Claudia Havekost (IHK Oldenburg), Michael Engelbrecht (Vorstandsvorsitzender der Volksbank Jever) und Prof. Dr. Stephan Kull (Jade Hochschule).Foto: Lübbe/WZ

Das Ende der getrennten Einkaufswelten

Die gute Nachricht vorweg: Der stationäre Einzelhandel wird wohl auch in 20 Jahren noch existieren. Darüber herrschte am Donnerstagabend bei allen Referenten zum Thema „Zukunft des Handels – wie sieht die Einkaufswelt von morgen aus?“ Einigkeit. Die Kehrseite: Das Ladensterben mit anschließendem Leerstand wird deshalb nicht automatisch aufhören. Der Einzelhandel muss sich mit dem Internethandel verzahnen. Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Es bleibt also kompliziert.

Wie kompliziert, das wurde am Vortrag von Prof. Dr. Stephan Kull von der Jade Hochschule deutlich. Auf Einladung der Volksbank Jever, der Industrie- und Handelskammer Oldenburg und des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbands Jade sprach der Experte für E-Commerce und Marketing vor 140 Interessierten aus der Wirtschaft und des Einzelhandels. Christian Hinze von der Wilhelmshavener Zeitung präsentierte zuvor mit Locafox eine Lösung für hiesige Einzelhändler, um den Weg in Richtung vernetzte Zukunft zu beschreiten.

Kulls Fazit nach seinem über eineinhalbstündigen Vortrag lautete, dass der stationäre und der Onlinehandel aufhören werden, als getrennte Welten zu existieren. „Die Übergänge darf man nicht mehr spüren. Der Kunde will seine eigenen Kontaktpunkte.“ Für den Mittelständler in der Region bedeutet dies als erste Maßnahme, überhaupt erstmal Präsenz im Netz zu zeigen: Eine Website, nahezu tägliche Aktivitäten in sozialen Netzwerken, elektronische Erreichbarkeit und im Idealfall ein Zugänglichmachen der Sortimentsübersicht über das Netz sind gute Anfänge. Auf alle Fälle müsse vorgesorgt werden, technisch kompatibel mit dem Netz zu sein. Dazu bedarf es eines elektronischen Warenwirtschaftssystems.

Die Kunden teilen sich mittlerweile in drei Gruppen auf: Die Nonliner, also diejenigen, die sich meist altersbedingt dem Onlinehandel noch komplett verweigern. Sie sind mit 16 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mittlerweile in der Minderheit. Es gibt die Digital Natives, die digitalen Eingeborenen, die mit Technik aufgewachsen sind. Und es gibt die Smart Natives, also jene Generation, die mit ihrem Smartphone immer online ist und damit das Internet in den Laden trägt – ob der Händler das will oder nicht.

Zu Beginn zeigte Kull auf, was die Internetwirtschaft schon macht und plant. Im Einzelhandel ist dabei vor allem Amazon federführend. Einkäufe lassen sich per Sprache mit dem Assistenzsystem Alexa erledigen, oder per Knopfdruck auf einem Funkknopf namens Dash, um zum Beispiel Verbrauchsartikel wie Waschmittel einfach nachzubestellen. Amazon analysiert die Nutzerbedürfnisse, transportiert Waren schon zum möglichen Bestimmungsort, wenn nur erwartet wird, dass der Kunde sie morgen haben möchte, und hält eine unglaubliche Anzahl von „Pennerprodukten“ vor, gemeint sind Ladenhüter, die nur ganz selten mal bestellt werden, dann aber den Kunden glücklich machen.

Wie dieser Größe und Macht begegnet werden kann, zeigte Kull mit vielen Beispielen und Ideen auf: Temporäre Geschäfte, so genannte Pop-Up-Stores, Konzeptgeschäfte, die sich einer besonderen Idee widmen, und eine Renaissance des kleinen Ladens um die Ecke seien neben der richtigen Einstellung zum Netz vielversprechende Einsätze – kurzum: Das Einkaufserlebnis wird wichtiger. Der stationäre Handel punkte mit der Erlebbarkeit von Marken, er begeistere mit kuratierten Sortimenten und inspiriere zu Spontaneinkäufen. Online biete maximale Auswahl und hat immer geöffnet.

Weil auch die Internethändler wie Amazon das wissen, drängen sie nun auch in den stationären Handel. „Amazon Go“, ein Lebensmittelgeschäft, existiert schon als Prototyp für die eigenen Mitarbeiter. Mit Pop-Up-Stores drängt der Onlineriese in Städten in Leerstände, wo die Immobilienbesitzer den Mieter mit Kusshand empfangen.

Es droht also noch mehr Konkurrenz vor der eigenen Haustür. Wer als Händler beides – online und stationär – verzahnt, habe Zukunft. Es gilt vor allem Frusterlebnisse zu vermeiden. Und nicht jeder Onlineansatz funktioniert auch. „Die Händler müssen mit Fantasie arbeiten. Sie dürfen das Internet nicht verdammen“, so Kull. Der Käufer habe durch das Netz heute viel mehr Macht. Dies müssten Händler respektieren. Sonst kauen die Smart Natives anderswo ein. Sein Tipp: „Wenn Sie online machen, müssen Sie online leben.“    

Malte Kirchner (Wilhelmshavener Zeitung)