Campus

MWJ-Vortrag
01.06.2012
Volker Stollorz referierte zu den Praktiken von Wissenschaftsjournalisten. Foto: Geert Oeser

Volker Stollorz referierte zu den Praktiken von Wissenschaftsjournalisten. Foto: Geert Oeser

Wie Wissenschafts-Journalisten auf die Wissenschaft schauen

Wilhelmshaven. Auf eine 60-minütige Kurzreise in die Welt des Wissenschaftsjournalismus nahm Volker Stollorz gestern seine Zuhörer an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven mit. Der Biologe, der für seine wissenschaftsjournalistische Arbeit mehrere Auszeichnungen bekommen hat, hielt gestern den für dieses Semester letzten Vortrag in der Vortragsreihe „Journalismus vordenken ...“ des Instituts für Medienwirtschaft und Journalismus (InMWJ) mit dem Titel „Ein Virus lernt fliegen – Wie Wissenschaftsjournalisten auf die Wissenschaft schau-en“. Genau das veranschaulichte Stollorz mit einem konkreten Beispiel aus seiner Arbeit: Im November 2011 hatte er zusammen mit seinem Kollegen Jörg Albrecht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) einen Bericht mit dem Titel „Ein Virus lernt fliegen“ veröffentlicht. Das Thema: In einem Labor des Erasmus Medical Center der Universität von Rotterdam hat eine Gruppe von Forschern um den Niederländer Ron Fouchier angeblich ein „Supervirus“ erschaffen, das so tödlich sei wie die Vogelgrippe und sich so leicht auch von Säugetier zu Säugetier übertragen lasse wie die Schweinegrippe. Ein amerikanisches Kontrollgremium hatte die Veröffentlichung der genauen Daten verhindert, da sie von Terrorristen zu bösartigen Zwecken verwendet werden könnten.  „Diese Empfehlung war ein Schock für die Gemeinschaft der Grippeforscher“, sagte Stollorz. „Und ich dachte: ,What a big story!’“ Doch wie sollten er und sein Kollege herausfinden, ob das Virus wirklich so gefährlich ist wie behauptet? Nur zwei Tage Zeit für die Recherchen, keine veröffentlichten Forschungsergebnisse, kein Zugang zu den Forschern selbst, weil diese nicht über unveröffentlichte Daten reden dürfen. Und nun? Über eine intensive Datenbankrecherche fanden Stollorz und sein Kollege zwei Wissenschaftsjournalisten, die in einem Vortrag gehört hatten, Frettchen seien bei Infektionsversuchen über die Luft mit den neuartigen Viren verstorben. Stollorz recherchierte weiter, wälzte Fachliteratur. In ihrem ersten Artikel erwähnten Stollorz und Albrecht dann auch, dass die Sterblichkeitsrate der Frettchen nach mehrmaligen gezielten Mutationen des Virus angeblich bei erschreckenden 70 Prozent lag.  „Heute weiß ich, dass diese letzte Aussage so nicht stimmte“, sagte Stollorz. Keines der Frettchen in den Übertragungsversuchen durch die Luft sei an den Versuchen gestorben, heißt es seit 2012 in einer erstaunlichen Kehrtwende der Geschichte, die nach einem geheimen Treffen bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf eintrat. Das im Labor erschaffene Virus sei nun angeblich weit harmloser als in der Öffentlichkeit dargestellt. Doch davon hätten die Forscher vorher trotz vieler Gelegenheiten und Anfragen nichts gesagt, so Stollorz. Zweifel darüber, wie gefährlich das Virus wirklich ist, bleiben. Für Journalisten sind solche Themen schwierig: Für die Öffentlichkeit ist es sehr wichtig, über potenzielle Gefahren informiert zu werden, schließlich müssen über diese Forschung auch politische Entscheidungen getroffen werden. Andererseits sind die Themen sehr komplex und mit wenig belastbaren Informationen schwer einzuschätzen.  Inzwischen hat die FAS in sechs Artikeln ihre Leser über die Irrungen und Wirrungen der Debatte informiert. „Wie so oft werfen einige Wissenschaftler Journalisten vor, sie hätten die Geschichte aufgebauscht, statt auf die Veröffentlichung der Ergebnisse zu warten“, so Stollorz. Doch die Sprengkraft liege in der Forschung selbst, und die Forscher wüssten das ganz genau. „Bis heute bleibt ungeklärt, warum die Forscher die Falschinformationen nicht sofort korrigierten und ihre Kommunikationsstrategie erst Ende Februar nach drei Monaten intensiver Diskussion änderten“, betonte Stollorz. Nach diesem Exkurs in den praktischen Wissenschaftsjournalismus gab er den vielen Medien-wirtschaft- und Journalismus-Studierenden im Publikum noch einen Einblick in weitere Arbeitsbereiche wie etwa die Recherche in umfangreichen Datenbanken, in denen Wissenschaftsjournalisten auf brisante Themen stoßen. Außerdem hatte er Tipps dazu parat, wie Journalisten prüfen können, ob sie Experten vertrauen können.  Eine Erkenntnis: Wissenschaftsjournalisten recherchieren akribisch in wissenschaftlicher Literatur und großen Datenmengen, stoßen dabei aber auch auf spannende und wichtige Themen.  Artikel zum „Virus“-Thema:
http://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin/mutmassliche-killerkeime-ein-virus-lernt-fliegen-11542644.html http://www.sonntagszeitung.ch/fokus/artikel-detailseite/?newsid=207510 Tetx und weitere Informationen:
Katrin Busch, Tel. 04421/9 85-2928, Mail: katrin.busch‎@‎jade-hs.de