Forschung

ERKI
15.06.2016
Während der Messung hat das Kind die Aufgabe, ein Geräusch zu orten und einen LED-Leuchtpunkt mit einem Drehregler in eine der 37 möglichen Schallrichtungen zu drehen. <span>Foto: Piet Meyer/Jade HS</span>

Während der Messung hat das Kind die Aufgabe, ein Geräusch zu orten und einen LED-Leuchtpunkt mit einem Drehregler in eine der 37 möglichen Schallrichtungen zu drehen. Foto: Piet Meyer/Jade HS

Richtungshören: Jade Hochschule entwickelt weltweit einmaliges Diagnostik-System

Oldenburg. Um herauszufinden, ob Kinder Schallereignisse lokalisieren können, hat das Institut für Hörtechnik und Audiologie (IHA) der Jade Hochschule jetzt ein weltweit einmaliges Diagnostik-System entwickelt. Dieses System wird künftig im Medizinischen Versorgungszentrum in Oldenburg und in fünf weiteren Uni-Kliniken deutschlandweit installiert. „Bisher ist die Fähigkeit des Richtungshörens von Kindern nicht ausreichend erforscht“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Karsten Plotz vom IHA. Ziel des Projektes sei es, möglichst viele Daten zu sammeln, die zeigen, ob und wie gut Kinder hören können, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. „Besonders wichtig ist das Richtungshören zum Beispiel für die Sicherheit im Alltag, weil mögliche Gefahrenquellen beispielsweise im Straßenverkehr besser geortet werden können“, erklärt der Mediziner. „Auch wenn wir ein Gespräch in einer geräuschvollen Umgebung führen, ist das Richtungshören von großer Bedeutung.“

Messaufbau: Zusatzmodul für "Mainzer Kindertisch"

Als Grundlage dient der „Mainzer Kindertisch“, der für Hörtests zum Beispiel für Sprachverständlichkeitsmessungen bei Kindern in Kliniken verwendet wird. Bei dem Messaufbau sind fünf Lautsprecher im Halbkreis um den Sitzplatz des Kindes positioniert. Die Lautsprecher sind durch einen undurchsichtigen Akustikstoff verdeckt. Das neue System zur Erfassung des Richtungshörens von Kindern (ERKI) kann als Zusatzmodul unkompliziert auf den „Mainzer Kindertisch“ aufgebaut werden. Während der Messung hat das Kind die Aufgabe, einen LED-Leuchtpunkt mit einem Drehregler in eine der 37 möglichen Schallrichtungen zu drehen. Die hohe Zahl an Schallquellen entsteht dadurch, dass die Lautsprecher mit wissenschaftlich begründeten Verfahren virtuelle Schallquellen erzeugen - ähnlich dem heimischen Stereo.

Wird das Hören wie das Sprechen "erlernt"?

„Beim Richtungshören werden die unterschiedlichen Schallereignisse beider Ohren vom Gehirn verarbeitet. So können wir die Richtungen erkennen und die Schallquellen orten“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Katharina Schmidt. Sie hat das ERKI-System maßgeblich mitentwickelt und es mit vielen Studierenden und über 100 Grundschüler_innen getestet. Im Rahmen ihres Promotionsvorhabens „Entwicklung des binauralen Hörens bei Kindern im Alter von 4 bis 8 Jahren (binEARi)“ beschäftigt sich die Wissenschaftlerin insbesondere mit den Fragenstellungen: Ist das binaurale (Stereo-)Hören altersabhängig? Lernen wir das Hören so wie wir die Sprache erlernen? Und: Gibt es eine sensitive Phase oder besondere Faktoren, die die Entwicklung des Richtungshörens beeinflussen? „Nach dem Hörsrceening bei Neugeborenen wird das Hörvermögen von Kindern oft erst zur Einschulung wieder überprüft“, erklärt Schmidt. „Zudem existieren in der Praxis keine Tests für binaurales Hören im Freifeld. Die üblichen diagnostischen Hörprüfungen finden mit Kopfhörer statt.“ Besonders interessant sei auch die Frage, ob die bei kleinen Kindern häufigen Mittelohrprobleme („Paukenergüsse“) eine Auswirkung auf die Hörentwicklung von Kindern haben. „Ein Paukenerguss tut nicht weh, daher sagen Kinder manchmal nichts und die Hörstörung bleibt unerkannt. Und das, obwohl ein Hörverlust von 20 bis 30 Dezibel damit einhergeht -  so als würde man sich die Ohren zuhalten." Auch inwieweit sich das Richtungshören von Patienten mit Hörgeräten oder Cochlea-Implantat - Hörprothesen - entwickelt, möchte die 30-Jährige herausfinden.

Um diese Fragen beantworten zu können, sollen in den nächsten drei Jahren bis zu 45.000 Daten erhoben werden. Hierfür wird das neue ERKI-Diagnosesystem bis Ende des Jahres in sechs Partnerklinken installiert – neben dem Medizinischen Versorgungszentrum in Oldenburg auch an den Unikliniken Mainz, Münster, Lübeck, Köln und Düsseldorf.